„Lass uns heute shoppen gehen!“, strahlt mich Sabine beim gemeinsamen Frühstück an. „Shoppen, nichts lieber als das!“, gebe ich sarkastisch zurück.
Ich hasse shoppen. Shoppen ist für mich Zeitverschwendung. Media-Markt oder Saturn Bummeln ist ok, aber sonst. Da ich davon ausgehe, dass in dem kleinen Einkaufszentrum in der Nähe des Hotels weder der eine noch andere Elektronikriese zu finden ist, schwant mir ein endloses Schlendern zwischen Kleidergeschäften. Ich hasse es. Noch dazu, fürchte ich, dass es keine Männerbänkchen, wie bei uns im Globus in Wiesental gibt, wo man verweilen kann. Shoppen endet zwischen uns immer im Streit. Aussagen wie „Mit Dir kann man nicht weggehen“, „Du siehst Dir ja gar nichts an!“, „Wie Du wieder rumstehst, wie hingestellt und nicht abgeholt!“ sind nur die Spitze des Eisbergs. Ich hasse shoppen. ZBK – Zeitvergeudung, Beziehungsbelastend, Kacke. Aus meiner Sicht sollte es nur Shoppingcenter geben, zu denen Männer keinen Zutritt erhalten. Da wäre uns viel geholfen. Seis drum. Auf zum Shoppen bei 38 Grad Außentemperatur. Was tut man nicht alles, um der Liebsten ein schönes Shoppingerlebnis zu können. „Gibt’s da auch Spielzeug?“, reißt mich Noah aus meinen trüben Gedanken. „Bestimmt“, antworte ich, um ihn zum 1 km Fußmarsch bis zur Einkaufsmeile zu motivieren. Also dann auf zum Shopping. Kurz noch die Handtasche aus dem Zimmer geholt und rein ins Schwitzvergnügen. Zu Fuß marschieren wir auf dem eher provisorischen Bürgersteig Richtung Einkaufsmeile, die wir schon aus dem Bus bei unserem Ausflug vor zwei Tagen sehen konnten. Dort angekommen reiht sich ein Kleiderladen in Garagengröße neben dem nächsten auf. T-Shirts von Fußballern, Basketballern, Original Marco Polo Shirts, Jack Jones, Camp David, Röcke, Blusen, Jacken, Handtaschen und alles zum halben Preis. Sabine strahlt. Ich schwitze. Noah quängelt. „Hier gibt’s ja gar keine Spielsachen!“ „Doch, Sohn bestimmt. Vielleicht an der nächsten Straßenecke!“, beruhige ich ihn. „Gute Idee. Geh Du doch mit Noah schon mal vor. Ich muss mir hier noch ein paar Handtaschen anschauen“, schickt mich Sabine auf einsame Spielzeugsafari. „Ok trennen wir uns. Wenn wir uns nicht mehr finden, treffen wir uns in einer Stunde hier.“ Geschafft. Wird wohl doch nicht so übel. Jetzt kann ich mit Noah in Ruhe irgendwo eine Cola trinken und muss nicht die ganze Zeit zuschauen, wie Madame Laden für Laden durchkämmt. „Komm Noah, auf zur Spielzeugsuche!“.
Am Ende der von Geschäften gesäumten Straße gibt es eine 180 Grad Biegung und ein weiteres Geschäfte El Dorado tut sich auf. Wieder T-Shirts, Handtaschen, Kleider, Spielwaren. Oh Gott. „Spielwaren!“, ruft Noah und stürmt zum ersten Geschäft, das Spielwaren schon vor dem Eingangsbereich aufgestapelt hat. Angeboten wird klassischer Made in China Plastik Schrott und mir schwant böses. Noah begeistert sich spontan für einen ca. 20 cm großen gelben Plastikbagger mit Schaufelfunktion. „Papa, ich will den Bagger!“ Mein Blick fällt auf das Preisschild. 25€. Frechheit. Für den Schund Plastik 25 Euro. Die spinnen wohl. „Noah lass uns lieber schauen, ob’s irgendwo noch einen Günstigeren gibt. Ja? “ „Ich will aber den Bagger!“, insistiert Noah auf seiner Wahl. „Ja, ich sag ja gar nicht, dass Du den nicht bekommst. Lass uns aber erst mal sonst noch schauen. Der Gewinn liegt im Einkauf!“ Noah schaut mich fragend an. „Was kann ich gewinnen?“ Ok, dumm gelaufen. Unüberlegt einen blöden Spruch rausgehauen. „Nun mein Sohn. Wenn Du irgendwo anders einen günstigeren Bagger bekommst, dann hast du Geld übrig.“ „Ich hab gar kein Geld. Papa, du hast Geld!“ Auch wieder wahr. „Also Sohn sieh mal, da hinten geht eine Querstraße rein, die überdacht ist. Dieser Bagger hier steht schon den ganzen Tag in der Sonne und die Farbe ist schon etwas ausgeblichen. Vielleicht finden wir dort einen frischeren.“ Noah schaut sich kritisch sein Objekt der Begierde an. Offenbar haben meine Worte Zweifel gehegt. „Gut, aber wenn wir dort nicht den gleichen bekommen, dann gehen wir zurück. Ja?“ Ich lasse die Frage unbeantwortet, nehme ihn an die Hand und ziehe oder besser schleife ihn in Richtung überdachter Einkaufspassage. Vielleicht gibt dort ja ein Cafe mit Cola zur Ablenkung. Während sein Körper meinem Armzug folgt und sein Kopf sehnsüchtig in Richtung Ex-Bagger verdreht bleibt, gehen wir weiter. „Nun lass Dich nicht so ziehen. Komm schon!“. Ich bin sicher, dass der Bagger gleich vergessen ist. Cola, ggf. Eis und fertig. Man kennt ja die Kurzlebigkeit von Kinderwünschen.
Die Seitenstraße ist zwar aber überdacht, aber das Dach ist aus Well-Blech, so dass sich die Hitze darunter staut. „Komm Noah, das war doch keine so gute Idee, da gibt’s keinen Spielzeugladen!“ „Da hinten!“, sagt es und reißt sich von meiner Hand los. Na gut. Dann auf zum nächsten Spielzeugladen. Als ich bei meinem Sohnemann ankomme, strahlen mich zwei Kinderaugen an, während mir zwei Kinderarme einen Plastikbagger mit Schaufelfunktion entgegenstrecken. „Ich will den Bagger!“. „Mein Sohn, das Thema hatten wir doch schon.“ „Ja aber der hier stand doch die ganze Zeit im Schatten.“ „Richtig, aber der hier ist auch nur aus China-Plastik! Und außerdem kostet der auch 35 Euro.“ Moment, das identische Exemplar eben war 10 Euro günstiger. „Ich will den Bagger!“ Langsam treibt das Generve eines Sechsjährigen oder die 35 Grad Hitze mir Schweiß auf die Stirn. „Noah, du hast 10 Bagger zu hause. Grüne Bagger, gelbe Bagger, blaue Bagger, Schaufelradbagger, Planierraupen und Schrottbagger. Wo wir dabei sind. Dieser Bagger ist Schrott. Den kaufen wir nicht. Basta!“ „Ich will keine Pasta. Ich will den Bagger!“ In Noahs Augen sammelt sich Flüssigkeit. Das macht er immer, wenn er was durchsetzen will. Dieser Schauspieler. „Ich will den Bagger!“, wird seine Stimme etwas lauter und trotziger. „Es gibt keinen Bagger! Fertig!“ Tränen von Wut, Verzweiflung und Erpessung beginnen in Noahs Gesicht einen Strom zu bilden. Die Stimme wird zunehmend schriller und lauter. „Ich will den Bagger!“ „Junge Mann wollen wundervollen Multifunktionsbagger?“ Der Besitzer des Ladens, Namens Wucher-Preiso hat sich zu uns gesellt. „Nein mein Sohn will den Bagger nicht. Er denkt nur, dass er ihn will. In Wahrheit will er ein Eis. Nicht wahr Noah?“ „Ich will den Bagger!“ Kleiner sechsjähriger Verräter. Das tust Du deinem eigenen Fleisch und Blut an. „Nun kaufen Sohn Bagger, dann Ruhe!“ Der Verkäufer aus dem Marco Polo T-Shirt Geschäft gegenüber gesellt sich zu uns. „Wer solch eine Uhr trägt, der wird doch seinem Kind einen Bagger kaufen können.“, wirft er als weiteres Argument in den Raum. „Die Uhr ist ein Geschenk von meiner Frau zum 5 jährigen Beziehungsjubiläum.“, außerdem geht Sie das einen…“ „Ich will den Bagger!“ Noah dreht jetzt auf höchste Lautstärke. Sein Kopf wird rot und die Augen sind vor lauter Tränen nicht mehr zusehen. „Der Kleine schreit ja die ganze Straße zusammen!“ ertönt die Verkäuferin vom Handtaschenladen nebenan, keift mir in den Rücken. „Was für Vater Du sein? Tausende Euro All-Inklusive Essen, aber nix für Kind übrig. Du schämen.“ „Moment. Ich bin nur dabei meinem Kind Nachhaltigkeit und Vermeidung von übermäßigem Konsum beizubringen.“ „Ich will den Baaaa haaaa, Baagggg haaa gggger!“ Aha, wir haben soeben die nächste Eskalationstufe erreicht. Schluchzen, weinen, abgehackter Atem. Das ist kurz vor Zusammenbruch und hinlegen. Das hat er seit seinem 3. Lebensjahr so eingeführt. Dieser Bastard. Nein, das ist nicht mein Kind. „Hallo gehört jemandem dieses Kind“, bleibt bei meinem stummen Aufschrei, der von schrillem Kindgekreische übertönt wirld. Inzwischen sind wir umringt von 10 türkischen Verkäufern und Verkäuferinnen und ca. 20 schaulustigen Touristen, die sehen wollen, wie ein Vater sein Kind aufs schwerste misshandelt. Blicke von Abscheu und Verachtung treffen mich. Durch die Menge drängen sich nun zwei Polizisten, die sich auf Türkisch nach dem Sachstand erkundigen. Einer der beiden greift beherzt zum Schlagstock, als ich Noah mit zwei Armen an den Schultern greife. Im nächsten Moment liege ich am Boden und bekomme meine Hände mit Handschellen auf den Rücken fixiert. „Du nix bewegen. Verstanden?“ Höre ich den Polizisten knieend auf meinem Rücken! In Türkei wir nix schlagen Kinder! Abschaum!“ „Ich will den Bagger!“ „Dein Vater dich nix mehr anpacken. Kleiner Mann, wir bringen in Gefängnis, diesen Verbrecher. Dann Du bekommen besseren Vater.“
„Noah? Noaaah?“. „Mama!“ Aus weiter Ferne ertönt eine mir bekannte Stimme. Eine Stimme der Hoffnung. Eine Stimme der Erlösung. Der Ton eines Engels, der mich vielleicht vor 30 Jahren Gefangenschaft in einem türkischen Steinbruch retten wird. „Noah. Jörg was ist denn passiert!“ „Ich will den Bagger Mama!“ Noah hält noch immer sein Objekt der Begierde in die Höhe. „Ja und?“ „Papa, will mir den nicht kaufen!“ „Schon gut Noah, wir kaufen dir den Bagger! Und Sie, würden Sie bitte von dem Rücken meines Mann heruntersteigen?“ „Ist nix guter Mann. Hat schlagen wollen Kind!“ „Mein Mann hat noch nie unseren Sohn geschlagen, also lassen Sie ihn bitte los!“ „Na gut, wie sie wollen. Aber wenn Kind nochmal schreien, wir kommen wieder und dann mitnehmen. Du verstehen?“ „Ja ich verstehe!“. „Ja ich verstehe.“, gebe auch ich kleinlaut bei, während sich der Kniedruck und die Fesseln auf meinem Rücken lösen. Auch Noah hat verstanden. Denn neben dem gewünschten Bagger folgen seinem Einkauf eine Planierraupe, ein Schaufelradbagger, zwei Traktoren (grün und rot) mit passendem Anhänger, ein gelber Kran, ein Softeis und eine Cola. Schließlich tue ich alles, um ein glückliches Kind zu haben und 30 Jahre Steinbruch in der Türkei zu vermeiden.