Köpfer will gelernt sein

Neben der mir schon bestens bekannten Drehtür verlassen wir das Hotelgebäude zum Poolbereich. Von der Sonne geblendet muss ich einen Moment stehen bleiben. Jetzt erst wird mir bewusst, dass die Räumlichkeiten bestens klimatisiert waren. Hitze schlägt uns wie eine unsichtbare Mauer entgegen. „Herrschaftszeiten. Ist das heiß. Dabei ist erst 10.00 Uhr. Wie wird das erst am Nachmittag“, denke ich laut und es kommen mir erste Zweifel, ob’s an der Nordsee nicht doch besser gewesen wäre. „Stell Dich nicht so an.“, meint Sabine und setzt Ihren Strohsonnenhut auf. In Grace Kelly Manier mit Sonnenbrille und erhobener Nasenspitze stolziert sie mit silbernen Zehentrenner-Schläppchen und leicht durchsichtigem Stoffkleidchen durch die Poolanlage. Der Weg führt auf Steinplatten über mehrere Holzbrücken, die den lang und endlos wirkenden Pool mehrfach überqueren. Rechter Hand liegt ein an das Colosseum erinnernde Arena. Gleich danach teilt sich der Weg auf und führt rechts zu einem Baby-Pool mit Kinder-Rutschenbereich. Dort liegen 20 jährige russische Topmodell-Mamas in knappen Bikinis. Sie lassen mich vergessen, dass unser Sohn schon Schwimmen kann und vielleicht nicht mehr ganz ins Babyplanschbecken passt. „Da sind noch ein paar Liegen frei“, deute ich meiner Liebsten in Richtung Babypool. „Vergiss es!“, ist nur die kurze Antwort. Irgendwie kann sie meine Gedanken lesen. Das ist schon unheimlich. „Da hinten scheinen noch ein paar Liegen frei zu sein“, kontert sie und wendet sich in Richtung Wasserrutschen-Bereich. „Dort ist weniger Ablenkung für Dich, mein Lieber!“. „Cool“, meint Noah,  „drei große Schlangenrutschen. Eine grünweiße, eine blauweiße und eine rotweiß gemusterte. Dazu noch 4 parallele Wettrutschen.“ „Sollen wir nicht lieber hinten zum Relax-Pool gehen.“, versuche ich meinem Dauerrutsch-Schicksal zu entfliehen. „Nein Papa, ich will hierbleiben.“, freut er sich weiter. „Du hörst, was dein Kind sagt! Außerdem sind die Rutschen ja nicht in Betrieb. Wir haben den Auslaufpool ganz für uns allein“. „Noch“, resigniere ich und ahne, was in einer Stunde hier los ist. Schnell sind von ihr die Badetücher auf drei Liegen verteilt, der zugehörige Sonnenschirm aufgeklappt und noch ein weiterer von neben dran stehenden Liegen dazu gerollt. Sollen die doch sehen, wie sie Schatten bekommen. In Liegeposition genieße ich einen wundervollen Blick auf Wasserrutschen in verschieden Farbtönen. Wer will schon Meerblick.

Jetzt beginnt also mein Urlaub. Augen zu und entspannen. Kein Stress. Keine Hektik. Niemand, der etwas von mir will. Endlich Ruhe. „Papa! Kommst Du mit in den Pool?“. „Mein Sohn, ich habe gerade zwei Sekunden die Augen zugemacht. Ich will mich ausruhen!“. „Aber Papa, mir ist langweilig!“. „Ich bin nicht dein Animateur. Lies ein Buch.“ „Ich habe aber keine Lust auf ein Buch. Mir ist langweilig!“, steigert sich sein Tonfall. „Wie bitte schön, kann Dir langweilig sein? Du hast dein Schwimmabzeichen in Bronze gemacht. Vor deinen Füßen liegt ein 350m langer Pool. Am Ende befindet sich der MINI-CLUB. Gegenüber sind unzählige Wasserutschen.“ „Die nicht in Betrieb sind!“, unterbricht er meine Argumentationskette, die damit auseinanderreißt.“ Ich versuche die Mitleidstour: „Bitte gönn Deinem Vater eine Minute Ruhe. Ich bin noch völlig erledigt von gestern Nacht. Ich habe kein Auge zu getan!“. Ich zweifle zwar, ob dieser Versuch erfolgreich sein wird, mache aber trotzdem mit einem betonten Gähnen die Augen zu. Es klappt.

Mein Bewusstsein beginnt sich vom hier und jetzt zu verabschieden und es erscheinen Topmodells mit russischen Akzent in meinen Gedanken, die danach lechzen von mir eingecremt zu werden. „Ist die Minute vorbei Papa?“. Wieder wach. 

„Nein. Die Minute ist noch nicht vorbei. Außerdem sagt man das nur so“. „Was?“. „Na, eine Minute“. „Wie?“. „Nun, ja man sagt eine Minute, meint aber z.B. 20 Minuten!“ „Warum sagt man dann nicht 20 Minuten?“, ob dieser kindlichen Logik hilft nur die durchschlagende Argumentation eines Erwachsenen: „DESHALB!“. 

„Jetzt sei doch nicht so“, mischt sich Sabine wieder ein. „Und mach was mit Deinem Kind. Schließlich hast Du sonst so wenig Zeit für ihn. Deshalb machen wir doch Familienurlaub“.

Mein Kurzer grinst, wohlwissend, dass damit die Diskussion, über Ruhe, Entspannung und Selbstbeschäftigung überflüssig geworden ist. Jetzt nicht am ersten Urlaubstag einen Streit vom Zaun brechen. „Gut. Was möchte mein geliebter und gelangweilter Prinz von Nervensäge unternehmen?“. „Weiß nicht. Mir ist langweilig!“. „Ja, das ist mir bekannt. Ich meine diese Aussage vor 5 Minuten gehört zu haben!“ „Du meinst vor einer Minute!“.  Meine Liebste schmunzelt und widmet sich weiter ihrer Modezeitschrift, die sie im Foyer des Hotels mitnehmen durfte.

„Egal jetzt, ob eine, zwei, fünf, zwanzig oder tausend Minuten. Was willst Du machen?“. „Wieviel sind tausend Minuten? “, greift mein Kleiner das Zeitthema wieder auf. „Viel zu viel, um weiter darüber zu reden. Also was jetzt?“. „Was meinst Du, Papa?“.

„WAS MÖCHTE MEIN KIND JETZT TUN, DAMIT IHM NICHT MEHR LANGEWEILIG IST?“ „Jetzt komm mal runter, schaltet sich Frau Wachhund unterm Illustriertenblick ein. Dein Kind will mit dir etwas unternehmen. Kann ja wohl nicht so schwer sein. Lass Dir etwas einfallen. Du bist doch sonst so kreativ!“

„Also gut. Sollen wir mal zum MINI-CLUB?“. „Keine Lust, da kenn ich ja niemand!“. „Wenn Du hier auf der Liege bleibst, wird sich das auch nicht ändern! Wie wär’s mit Muscheln suchen am Strand?“. „Nee, keine Lust!“. „Ins Hotelzimmer Fernsehen?“ „Au ja, da läuft jetzt bestimmt Laura und die wilden Tiere!“. Bingo das wäre geschafft.  Schon packt er mit ungeahnter Energie sein Handtuch. „Das ist nicht euer Ernst. Das kommt nicht in Frage!“. Ihr bleibt BEIDE hier. Frustriert über die Vorgabe lässt Noah sein Handtuch wieder auf die Liege fallen. „Ok, wie wär’s mit Köpfer üben. Und das ist mein definitiv letzter Vorschlag“ „Ok! Aber eigentlich kann ich den schon?“, meint er zuversichtlich. Er zieht seine Schwimmbrille an, geht zum Beckenrand, blickt noch einmal nach hinten, um sich meiner Aufmerksamkeit sicher zu sein, sieht mein Nicken und stürzt sich ins blaue Nass.
Stürzen ist dabei der passende Ausdruck. Von Kopf-Sprung kann keine Rede sein. Ok, der Körper kommt im Wasser an, aber sonst ähnelt nichts einem klassischen Köpfer, wie ihn der gemeine Volksmund versteht. Bauchplatscher, mit Weichteil-Matsch trifft’s schon eher. Ich warte, dass mein Kleiner mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auftaucht. Aber, weit gefehlt. Ein nasser, strahlender Kinderkopf erscheint an der Wasseroberfläche und meint nur: „Und wie war‘s?“

Das ist nun wieder eine der Situationen, die man als Eltern liebt. Sagt man die Wahrheit, zerstört man vielleicht den letzten Funken Hoffnung auf eine erfolgreiche Kunstspringerkarriere. Lobt und lügt man, trägt dies nicht dazu bei, dass das eigene Kind eine vernünftige Selbsteinschätzung entwickelt. Also bleibe ich doch bei dem nichtsagenden und leicht verzögernden „Nun ja.“

 „Was meinst Du damit?“, zwingt er mich meine Grundüberlegungen zu Pädagogik und Erziehung ad acta zu legen. „Also ehrlich gesagt, mein Lieber, war das kein Köpfer, sondern ein klassischer Bauchplatscher. Allerdings ein sehr guter Bauchplatscher. Das muss ich schon sagen. Besser hätte man den nicht machen können.“. Leider ist mein Kurzer clever und durchschaut, die in Lobesworten gehüllte Kritik. „Mach Du‘s doch besser“, erwidert er trotzig und bahnt mir damit den Weg zu einer lehrhaften Demonstration. „Nun, mein Guter“, fahre fort, „wenn Du einen Köpfer machen willst, musst Du mit den Händen zuerst und möglichst im Winkel von 65 Grad ins Wasser eintauchen. Dann tut es auch nicht weh!“ „Es hat mir nicht weh getan“. „Also gut ich zeig es Dir.“, ignoriere ich seinen Einwand. „Du stellst Dich an den Rand. Nimmst den Kopf zwischen die ausgestreckten Arme, beugst Dich nach vorne und…“. Weiter komme ich nicht. Fahrstuhl Kalle aus dem Saarland ist von hinten wie aus dem Nichts aufgetaucht und hat mich ins Wasser gestoßen. „Hoppla. War gar kähn Absicht. Unn wie is es Wasser? Scheen odder?“, ruft er noch weiter im Vorbeigehen. Als ich auf der Wasseroberfläche aufschlage, durchfährt mich ein druchdringender dumpfer Schmerz im Lendenbereich. Meine Familienplanung löst sich in schmerzhaftem Eiersalat auf. Ohnmacht droht mich zu umfangen, aber es gelingt mir, mich nach Luft schnappend zum Beckenrand zu schleppen. Dort grinst mich mein Kurzer an und meine Frau gibt ihre ungefragte Meinung zum Besten. „Na, das war jetzt aber auch nicht viel besser.“ „Kümmer Du Dich um deine Hosenanzüge, japse ich noch immer den Schmerz wegatmend. „Gib mir eine Minute mein Kleiner, dann zeig ich Dir richtig. „Meinst du jetzt eine oder zwanzig Minuten?“. „Eine, nur eine!“

Doch meine ungestörten Köpferversuche zwei und drei sind nicht viel besser. Inzwischen hat Karlheinz mit zwei Trinkkumpanen auf den Liegen auf der anderen Seite des Pools begonnen meine Sprungversuche mittels La Ola Gesang zu untermalen „oooooooooooooh jooo“, rauscht es jedesmal in meinen Ohren. „3,0“, erhalte ich danach die lautstarke Wertung meiner ungewollten Sprungschiedsrichter. Mein Kleiner versucht immer noch motiviert, mir nachzueifern. Aber selbst nach dem 5. Sprung bekommen weder ich noch er einen gescheiten Köpfer hin. „Na gut, ihr Leit. Ich kann nemme zugucke“, höre ich Karlheinz rufen. Kommt mohl riwwer hier zur Treppe. Ich zeig’s eich“. „Was will der jetzt schon wieder“, frage ich mich halblaut, bin aber dankbar für die Befreiung aus dieser schier ausweglosen Trainingssituation. „Wir folgen seinem Winken und stehen kurz darauf zusammen bis zu den Knien auf den Treppenstufen, die in den Pool führen, halb im Wasser. „Was Du immer falsch machst junger Mann“, wendet sich Karlheinz mit überraschend klarem Hochdeutsch an meinen Junior, „Du musst die Füße nach oben werfen! Also bück Dich mal bis zu den Ellenbogen ins Wasser und versuch beim Absprung die Füße aus dem Wasser zu werfen.“ Mein Kleiner blickt mich unsicher an, ob er der Anweisung folgen soll. „Probier’s halt!“, nicke ich ihm zu. Er probiert’s und was soll ich sagen. Die Beine fliegen wie von Geisterhand aus dem Wasser, der Kopf taucht vor dem Popo ein. Ein kleiner, aber richtiger Köpfer. Als er auftaucht sehe ich in strahlende Kinderaugen. „Jetzt hab ich’s verstanden“, lacht er glücklich. „Das will ich gleich nochmal machen.“ „Nur, zu“, lache ich nun auch und tue es ihm gleich. Nach zwei weiteren Treppenübungsprüngen wagt er sich wieder an den Poolrand und springt einen Köpfer, den ich mit 8.0 als stolzer Vater bewerten würde. „Na also, klappt doch!“, meint Schwimmtrainer, Karlheinz. „Do druff muss ich jetzt ähner trinke gehn. Gehschde mit uff a Bierche?“, blickt er mich an. „Nein, danke wir haben erst gefrühstückt. Später vielleicht. Aber vielen Dank für die Hilfe, das war wirklich toll –  der Trick mit der Treppe!“, gebe ich ehrlich zu und frühe mich besonders für meinen Junior, der vom Kopfsprung nicht mehr genug haben will.

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