Katharina

Wenn man’s richtig bedenkt, sind es jetzt gerade mal 23 Stunden her, dass ich in der Check-In Wartehalle von Girona saß. Es berührt mich jedesmal auf’s neue. Das Warten meine ich.

Ich sitze auf einem dieser etwas unbequemen Wartestühle und beobachte die Schlange vor den Check-In Schaltern, die schon geöffnet sind. Leider noch kein Check in für meinen Flug nach Frankfurt Hahn. Allerdings bin ich auch ganz froh, weil sich die 20 Meter Engländer-Schlange nach Shanon zwar vorbildlich verhält, mir aber die reine Vorstellung des Anstehens die Unruhe in den Hintern treibt. Verzeihung, wieder etwas sprachlich ausgeglitten.
Immer wieder mein unruhiger Blick auf die Anzeige-Tafel meines Check-In Schalters. CLOSED prangert dort mit großen Lettern. Optimisten oder Strategen stellen sich allerdings jetzt schon an, so dass ich mit meinem inneren Schweinehund zwischen Herdentrieb und Faulenzertum kämpfe, um mich nicht auch anzustellen.

Ok, jetzt kommt Bewegung in die Geschichte und eine charmant anmutende Spanierin macht sich hinter dem Schalter bereit, was dazu führt, dass sich mein Körper wie von Geisterhand von dem schon nahezu mit mir verwachsenen Stuhl löst. So wie ich denken wohl noch 12 andere Leute, und da ich nicht mehr der schnellste Sprinter bin mit meinem vom Büro-Alltag angesetzten 35 Jahre Speck, erreiche ich als Nummer 13 das Ende der Check-In Schlange.
Ok, wieder mal letzter. Und doch mischt sich in das ungute Gefühl wieder nicht schnell genug zu sein, die Freude als ich die junge Dame bemerke, die direkt vor mir steht. Auf’s Wildeste damit beschäftigt ihre Rucksacktasche umzupacken. Nach kurzer Zeit wird klar, dass Sie prüft, ob Ihr Rucksack evtl. auch als Handgepäck durchgeht, was aber offensichtlich nicht der Fall ist.
Und so kommen wir ins Gespräch.

Wie denn der Urlaub so war. 4 Wochen, als Studentin kann Sie sich das leisten. 2 Wochen mit den Eltern auf der Il de Re und danach 2 Wochen Urlaub in Barcelona. Barcelona, ja eine tolle Stadt. La Sagrada Familia, die als Kirche eher anmutet, wie das Tor zur Hölle, oder der Park de Gueuille, von dem ich nie weiß, wie er richtig geschrieben wird. Auch von Gaudi. Im Aquarium war sie nicht. Ich allerdings schon, da mich das große Becken schon beim ersten Besuch fasziniert hat.
Die Zeit vergeht wie im Flug, und schon haben wir beide eingecheckt. Da noch Zeit ist ein kleines Getränk in der Cafe Bar. Naja, in Barcelona haben Sie ihr die Check-Karte geklaut und die Handtasche, die gab’s aber wieder zurück. Ob mir denn nichts passiert sei. Nein, bisher nur gute Erfahrungen gemacht, ausser bei einem 3 monatigen Praktikum in Figueres, wo sie mir zweimal mein Auto aufgebrochen haben. Nichts geklaut, aber dafür die Scheibe kaputt. 300 DM umgerechnet. Das Radio haben sie mir dann aber 4 Wochen später an der Uni in Saarbrücken geklaut. Ohne die Scheibe zu zertrümmern, was mir materiell gesehen, besser gefiel.
Naja, sie muss noch ein paar Karten schreiben. Na dann bis später.

Irgendwie ist jetzt schon klar, dass wir uns im Flugzeug nebeneinander setzen werden. Unausgesprochene Verabredung, Magie ? oder nur der fromme Wunsch meiner Seele noch mehr Zeit mit dieser interessanten Person zu verbringen. Wohl letzteres. Aber Ihr scheint es genauso zu gehen, weil Sie beim Boarding die lange Schlange überholt und sich wie selbstverständlich neben mich stellt, als wären wir schon lange ein Paar.
Sind wir auch, ja in diesem Augenblick sind wir ein Paar, ein Paar das gemeinsam das Flugzeug besteigt, das sich anlacht, das sich vertraut ist, als ob man sich schon Jahre kennt. Blödsinn natürlich, aber der Gedanke ist schön, und gibt mir für einen Moment ein wunderbares Gefühl von Zweisamkeit, das ich schon länger nicht mehr hatte.
Beim Besteigen des Flugzeugs erkläre ich ihr dann, dass ich aufgrund meiner Größe die Sitzplätze an den Notausgängen bevorzuge, aber dass dies auch mit ein paar Nachteilen verbunden ist. Keine Taschen, keine losen Jacken, außerdem ist der Blick auf die Tragfläche auch nicht so schön. Insbesondere wenn man bedenkt, dass bei einem Absturz, die 5000 Liter Kerosin einem direkt unter dem Hintern ins Jenseits befördern. Das sag ich ihr natürlich nicht. Sie ist schon länger nicht mehr geflogen, ist auch ein bisschen nervös, wie mir scheint. Nein sie reist lieber mit dem Zug. Einfach schöner, man hat besser Zeit sich an die Veränderung zu gewöhnen. Ja, ein bisschen wie Erlebnisreisen. Ich erzähle ihr von meiner Interrail-Tour. Vor wieviel Jahren ? Oh Gott, schon 10 Jahre her. Wie die Zeit vergeht. Und Sie gerade mal 20 Jahre. So jung und doch schon diese Reife. Vielleicht kommt das von Ihrem Kunst/Geschichte Studium und Jura als Zweitstudium an der Uni in Tübingen. Doppelbelastung alle Achtung. Hätte ich nicht geschafft. Hatte schon genug zu kämpfen mit dem einen Studium; Elektrotechnik. Vor allem Mathematik für Ingenieure Teil 3. Böses Ohmen, weil ich dort dreimal durchgefallen war.
Kunst und Geschichte ist eigentlich nicht mein Ding, und doch macht mich Katharina, so heißt Sie nämlich, neugierig. Was sie denn zu diesem Studium bewegt ? Naja, die Kunst ist immer eng mit der Epoche verbunden in der sie stattfindet. Das findet sie spannend. Die Beispiele, die sie mir nennt, kann ich nicht nachvollziehen. Schade, da hätte ich vielleicht doch mal im Kunstunterricht aufpassen sollen. So wie Sie das erzählt, bereue ich das jetzt.
Sie hat im Moment Schmerzen. Ihr Schneidezahn hat sich nach einem Unfall immer entzündet, woraufhin wir beide unser schon lädiertes Gebiß (2 Stiftzähne + eine Halbkrone) beschreiben + Detaillierte Beschreibung der Weisheitszahn Operation folgt. Etwas unappettitlich, aber wenn Sie mich mit ihren blauen Augen und dem herzlichen Lächeln anschaut, finde ich das wiederum total angenehm. Schmetterlingssyndrom eben. Die Welt geht unter, na und, sie sitzt ja neben mir.
“Liebe Passagiere unser Flugzeug stürzt in 5 Minuten ab!” Ist mir doch egal, solange ich diese 5 Minuten mit Ihr verbringen kann.
Realitätsverlust, nennt man so etwas glaube ich. In 10000 Metern Höhe soll das ja auch schon mal vorgekommen sein, aber wieder Erwarten fallen nicht die Sauerstoffmasken herunter, die mir die Gewissheit geben würden, dass mein momentaner Zustand nur auf einen massiven Druckabfall im Kabineninnern zurückzuführen ist.
Kling ! Das Zeichen zum Anlegen der Gurte geht an und die Maschine befindet sich langsam im Landeanflug, und damit auch der Moment der Ernüchterung.
Nach der Landung will Sie den Bus nach Mainz nehmen, und danach geht’s mit dem Zug nach Stuttgart, zu Ihren Eltern.
Ihr Papa, wollte sie abholen, aber das wäre dann doch wohl zu viel Fahrerei gewesen. Eigentlich würde ich sie gerne heimfahren, würde gerne 3 Stunden im Auto mit Ihr verbringen und sie noch näher kennenlernen.
Eigentlich, ja eigentlich, wenn da nicht diese 15 Jahre Altersunterschied wären, und eigentlich, wenn Sie mich nachher beim Gepäckband nach meiner Telefonnummer gefragt hätte und eigentlich, wenn ich nicht zu stolz gewesen wäre ihr meine Telefonnummer anzubieten.
Auf der Rückfahrt vom Flughafen nach hause überlege ich noch lange über dieses eigentlich.
Aber eigentlich war es auch so sehr schön. Wir zwei ein Paar für 2 Stunden von Magie bezaubert, und wer weiß vielleicht wäre dieser Zauber auch sehr schnell der Ernüchterung gewichen. Also genieße ich diesen Moment, der mir nicht mehr zu nehmen ist.

Ein Kommentar

  1. Hallo lieber Jörg, toll, dass Du diese Seite hast. Finde ich gut!
    Mein Töchterchen heißt ja auch Katharina und Barcelona kennen wir gut. Auch ich habe da vor Jahren einmal ein 3-wöchiges Praktikum gemacht und bei einer sp. Familie gewohnt, die direkten Blick auf die berühmte SAGRADA FAMILIA hatte. Damals konnte man sie nicht besichtigen und heute glaube ich nur zum Teil. Die ewige Baustelle! Der Park Gaudís heißt übrigens Güell! Sehr ungewöhnlich, eben catalán. Mir hat die Zeit da auch gut gefallen, dennoch finde ich, dass Barcelona nicht eine der schönsten Spaniens ist 😀
    Viele liebe Grüße von Lurdes

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert