Zimmerbezug

„Ich will hierbleiben Papa! Es gibt eine tolle Poolanlage, einen Miniclub und viele Essenstände.“ „Also kein Royal Wings?“ „Nein. Hierbleiben, hierbleiben, hierbleiben“, tönt es aus dem Mund des Dreikäsehochs mit Baseballmütze, der vor mir herumhopst. „Na gut, dann wollen wir uns das neue Zimmer mal anschauen.“ „Ja, super!“. Nach dem Schlüssel- oder besser Keykartentausch am Empfang stehen wir mit unseren noch gepackten Koffern im 5. Stock vor einer neuen Zimmertür mit Elektronikschloss. „Bereit?“ „Nun mach schon!“, raunt mich Sabine an, während ich den Mechanismus zum Öffnen betätige.

„Mano! Das andere Zimmer gestern war viel größer! Hier kann man gar nicht so rumrennen!“, fängt mein Kleiner beim Betreten des immer noch großzügigen Zimmers mit 3 Betten plus Sofa, Fernsehsessel, TV und großem Bad an zu mosern. „Papa!  Wir sehen auf den Pool und das Meer.“, hellt sich seine Mine beim Blick vom Balkon wieder auf.  „Na das ist ja wohl das Mindeste, wenn wir schon auf die Suite verzichten, oder?“ „Drei Betten. Da wird’s wohl nichts mit Kuscheln!“, ist Sabines Reaktion auf die angebotenen Schlafmöglichkeiten. Aber auch das Problem wird schnell gelöst. Betten zusammenschieben. Fertig. Stellt sich jetzt nur noch die Frage, an der schon so manche Beziehung gescheitert ist. Wer liegt am Fenster? Wenn diese Frage zur beiderseitigen Zufriedenheit beantwortet werden kann, weiß man, dass man den richtigen Partner gefunden hat. Wenn nicht, sollte man sich schleunigst nach jemand anderem umschauen. Im Laufe meines Lebens habe ich mit verschiedenen Partnerinnen im Urlaub schon sämtliche Strategien ausprobiert, um selbst das Bett am Fenster zu erobern.  

Strategie 1: Ich überlasse mit großzügigen Worten das Bett am Fenster meiner Partnerin, mit der Erwartung, dass diese mir das Bett anbietet und dem unschönen Ergebnis, dass Sie mein Angebot widerspruchslos annimmt.

Strategie 2: Ich springe mit einem eleganten Tigersatz beim Betreten des Zimmers auf das Bett am Fenster und muss gleich darauf den Kommentar wahrnehmen. „Mach nicht mein Bett schon durcheinander!“

Strategie 3: Ich lege wie selbstverständlich meinen Koffer auf das Bett am Fenster und bekomme zu hören, dass der Koffer auf das zugehörige Ablagebänkchen gehört, während Madame ihre Sachen in den Nachttisch des Bettes am Fenster räumt.

Die Folge: Ich bin mittlerweile Experte für NichtamFemsterBetten. Bett am Kleiderschrank, Bett gegenüber Badezimmertür, Bett an weißer Wand, Bett an Holzvertäfelung, Bett neben Koffer, Bett am Abgrund. Ok, letzteres gab es nur in meinem jüngsten Albtraum.
Ich verstehe inzwischen gar nicht mehr, warum jeder am Fenster liegen will. Da steigen doch zuerst die Einbrecher und Stechmücken ein. Wobei die Stechmücken, sich nicht darum scheren, noch einen Meter weiter zu fliegen, um mein süßes Blut aus vollen Zügen zu kosten. Vielleicht sollte ich doch öfter duschen?

„Möchtest Du am Fenster liegen?“, fragt mich Sabine. Damit ist es klar. Wir haben die richtige Paarkonstellation. Sie bietet mir die Fensterseite an. Aber mein Gott, was wäre ich für ein Arsch, wenn ich das zuließe. Ich meine, soll Sie, die das ganze Jahr Haushalt und Beruf unter einen Hut bekommt und sich für die Familie aufopfert, soll Sie, die den Spross unserer Liebe unter Schmerzen auf die Welt gebracht hat, soll Sie, die leibhaftig wiedergeborene Mutter Theresa den ganzen Urlaub vermiest bekommen, nur weil ich Egoist am Fenster liegen will? „Nein.“ sage ich also mit einem vom Heiligenschein erleuchteten Kopf, „Nimm Du ruhig das Bett am Fenster. Ich liege gerne neben dem Schrank!“. „Ok. Ist mir eh lieber.“, sagt sie und legt ihre Jacke auf das Bett am Fenster als Zeichen der militärischen Besetzung. Fehlt nur noch, dass Sie eine Fahnenstange mit „Sabine-Flagge“ in die Mitte ihres Bettes reinrammt. Irgendwie regt sich in mir das ungute Gefühl, dass Sabine Strategie 1 kennt.

Bös ist der, der Böses denkt, also fange ich besser mit dem Auspacken des Koffers an. Da liegt er nun auf der Ablage. Wie ein Untier aus einer anderen Zeit mit riesigem Maul, dem ich nun meine Sachen aus dem Inneren entreißen muss. „Was ist los?“, sieht Sabine mein Zögern, „stimmt etwas mit dem Koffer nicht?“ „Nein, nein. Ist ja nur ein Koffer!“. Wer weiß, vielleicht doch nicht, und dieses Ungetüm zerrt mich in sein Inneres, wenn ich die Hände hineinstecke. Weniger bedrohlich wirkt der leere Kleiderschrank mit Bügeln, die man nicht klauen kann, da der Einhängemechanismus fest an der Kleiderstange befestigt ist und nur der Bügel mit Metallstift zum Einhaken herausgenommen wird. Wer hat sich eigentlich diesen Dickefingerquäler ausgedacht? Hat man das Hemd über den Bügel gebracht, bedarf es eines artistischen Könnens und zweier Adleraugen, den Metallstift in diese verflixte Einführöse zu friemeln. „So ein Scheiß!“, rutscht es mir raus. „Was denn?“ „Ich krieg den Mist nicht hin!“ „Lass mich mal, räum Du aber zumindest die Toilettenbeutel aus.“ „Alles klar!“ Als ich von dieser mich herausfordernden Aufgabe aus dem Bad zurückkehre, ist mein Koffer wie von Zauberhand ausgeräumt und der Kleiderschrank voll.

Sabine hat für Ihre Sachen die mittleren Fächer belegt. „Du bist schließlich größer als ich.“, lautet ihre Begründung. Seltsam nur, dass mir auch die unten liegenden Fächer zukommen. Ich wusste gar nicht, dass man sich auch besser bücken kann, wenn man größer ist. Und als ob ich es geahnt hätte, durchzieht ein stechender Schmerz meinen Rücken, als ich mich bücke, um die Badehose aus dem untersten Fach zu nehmen. Zumindest kann ich für den restlichen Tag die Hauptrolle von Victor Hugos „Klöckner von Notre Dame“ üben. “ASYL!”

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