Check-In

Heute und hier ist der Moment, um mein Coming Out zu feiern. Ich muss es Ihnen gestehen. Ich bin’s, ja ich bin es wirklich. Ich bin ein „Check-In“ Liebhaber.

Aber bitte nicht diese Kurzzeit Check-Ins bei Geschäftsreisen. Da schlafen ja nicht einmal die Füße beim Warten ein, noch wird der persönliche Einfallsreichtum beim Vordrängeln gefordert. Nein. So etwas ist was für Anfänger. Unter einer garantierten „Check-In“ Dauer von anderthalb Stunden buche ich eine Pauschalreise erst gar nicht. Jetzt mal ehrlich. Gibt es etwas Besseres als in einer solchen Schlange zu stehen und dringend auf’s Klo zu müssen. Wenn die Panik des Blasenversagens langsam aufsteigt und immer noch 30 Leute mit gefühlten 300 Koffern vor Dir und genauso viele hinter Dir stehen? Da heißt es dann zusammenkneifen oder aufgeben und das sich ausbreitende warm feuchte Gefühl an den Beinen genießen. Man glaubt nicht, wie schnell man in so einem Fall freiwillig vorgelassen wird. Noch dazu bekommt man bei sichtbar nasser Hose einen Einzelsitz mit Plastik-Polster im Flugzeug angeboten. Ist sowieso viel hygienischer. 

Aber nicht meine Neigung für durchgeweichte Hosen hat mich zum Check-In Junkie gemacht, sondern die schier unglaublichen Möglichkeiten, wie es das Schicksal immer wieder schafft, mich in der Schalterschlange unterzubringen, in der man am längsten braucht. Eigentlich ein wahres Paradoxon. Denn jeder glaubt wohl, dass er in der Schlange steht, die am längsten braucht. Wenn das so wäre, würde eine Schlange nie enden, weil die andere Schlage immer länger wäre. Oder? Aber anders lässt sich das Taktieren und Wechseln am Schlangenende nicht erklären. Wenn Kofferkulis permanent die Spur wechseln. Da schließe ich mich nicht aus. Obwohl ich mir über das Ende eines Check-In Schalter Rennens immer im Klaren bin. Ich verliere. Ich kann es dennoch nicht lassen, mich in Sebastian Vettel Manier in der Startreihe aufzustellen. Vor dem Start, sprich Schalteröffnung, gilt es eine optimale Position zu sichern. Da hilft auch kein lautes Aufschreien, wenn einem der Kofferkuli vom Hintermann in die Hachsen fährt. Nein, jetzt heißt es knallhart bleiben. Nach zähem Ringen und unter Einsatz meiner 188 Körpergröße und einem quengelndem 6 Jährigen, ergattere ich mir den Startplatz 23. Eine gute Position im vorderen Drittel. Drei Startplätze vor mir grinst mich der 72 jährige Lewis Hamilton mit seinem Silberpfeil-Trolli und ebensolchen Haaren an. Ob seines vermeintlichen Startvorteils zeigt er mir siegesbewusst seine dritten Zähnen. „Du nicht mein Freund“, sage ich mir. Jeder, aber Du nicht. Und dann sehe ich auch schon die Chance. Ein weiterer Schalter, Nummer 3, wird geöffnet. Mit einem Blitzstart, verlasse ich die Schlange und beschleunige auf Höchstgeschwindigkeit. Egal, dass mein Kleiner hinterhergeschleift wird. Hätte sich halt nicht am Kofferkuli festhalten sollen. Lewis Hamilton Silberhaar sieht von mir nur noch den Rücken und einen gestreckten Mittelfinger, während ich mich siegessicher am Schalter 3 auf Position 1 aufbaue. Dieses Gefühl ist wirklich unbeschreiblich und durch nichts zu ersetzen. Ich hab es geschafft. Ich bin tatsächlich Erster an einem Check-In Schalter. Tränen des Glücks rinnen mir über die Wangen, während ich Flugtickets und Ausweise der gutaussehenden jungen Dame am Schalter überreiche. Nach kurzer Prüfung der Tickets zeigt sich auf das Schild über sich. “Only Business-Class” ist dort zu lesen. Was nun folgt, lasse ich lieber weg. Nur so viel: Nach 5 Minuten ist es dem Sicherheitsbeamten gelungen, meine eingekrallten Finger vom Schaltertresen zu lösen. Nach intensiver Leibesvisitation und Verhör durch die Flughafenpolizei darf ich meinen Platz wieder am Schlangenende meiner ehemaligen Reihe auf Position 82 einnehmen. Begleitet vom Kopfschütteln aller wartenden Passagiere. Sabine hat Gott sei Dank aufgrund eines Toilettengangs von alldem nichts mitbekommen. „Bist Du noch nicht weiter vorangekommen?“, ist dann auch ihr Vorwurf. „Der Papa wurde von einem Polizisten durchsucht!“, fällt mir mein Kleiner in den Rücken. „Was? Wieso denn das?“. „Frag nicht“, gebe ich nur kurz zurück, um vor Schmach nicht ganz im Boden zu versinken.  Nach 30 Minuten weiteren Wartens schweift mein Blick nach oben zur Galerie im 1. Stock. An der Balustrade des Cafés im Boarding Bereich, winkt mir freundlich Lewis Hamilton Silberhaar zu, während er die zweite Gabel seiner Schwarzwälder Kirsch Torte in den Mund schiebt. Erstick dran! 

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