Park & Fly

„Bist Du sicher, dass der Bus zum Flughafen hier abfährt?“. „Ja. Ich bin mir sicher!“ Mein Blick schweift zum 10. Mal auf die Uhr an meinem Handgelenk. Wieder 2 Minuten später.  Wenn ich jetzt zugebe, dass ich mir gar nicht mehr sicher bin, ist eh alles vorbei. „Laut Internet fährt der Bus im 20 Minuten Takt!“ versuche ich etwas zur Beruhigung beizutragen. „Und warum warten wir jetzt schon eine halbe Stunde?“. „Keine Ahnung. vielleicht ist Stau?“. Um 4:45 Uhr haben wir auf diesem Waldparkplatz in der Pampa das Auto abgestellt und stehen jetzt schon eine halbe Stunde bei Nacht und Nebel an dieser Landstraße unter einer schwach leuchtenden Laterne. Das daran montierte Bushalteschild scheint aus den 60er Jahren und steigert das Vertrauen nur unwesentlich. „Parken Sie entspannt außerhalb und wir bringen Sie bequem zum Flughafen Frankfurt. Park & Fly. Gut für Sie, gut für die Umwelt.“ So steht’s auf dem Blatt Papier, das ich zum wiederholten Male jetzt auseinanderfalte, um mich auf dem darauf abgebildeten kleinen Plan zu versichern, dass wir doch an der richtigen Stelle stehen. Park and Fly! So ein Scheiß. Ein Tipp von Rainer. „Alles total easy“, hat er gesagt. „Du parkst auf dem Waldparkplatz,  steigst in den Bus und bist in 10 Minuten am Flughafen. Kein Stress mit Parkplatzsuche und so.  Außerdem sparst du locker 50 Euro.“ Danke Rainer. Danke für den Stress mit Sabine und danke für die Panik, die mehr und mehr vom Bauch Richtung Kopf steigt. Zum Glück hab ich  etwas Puffer eingeplant.

05:00 Uhr Bustransfer zum Flughafen.
05:10 Uhr Zu Fuß zum Checkin
05:20 Uhr Einchecken
06:55 Uhr Sicherheitskontrolle
07:25 Uhr Zu Fuß zum Gate
07:40 Uhr Boarding08:10 Uhr Abflug

Ungefähr 15 Minuten Puffer. Der ist jetzt aufgebraucht. Schlimmer noch, sogar um das doppelte überzogen. „Ich hab Dir gleich gesagt, dass wir direkt am Flughafen parken sollen. Aber De Bottler muss wieder zwei Euro fünfzig sparen!“, bekomme ich eine Breiseite von meinem Schatz. „Papa mir ist kalt“. Jetzt fängt der Kleine auch noch an. „Der Bus kommt gleich. Und außerdem ein Indianer kennt keinen Schmerz!“, versuche ich ihn, zum Helden zu erziehen. „Ich bin kein Indianer!“ antwortet er mit klappernden Zähnen. Wohl wahr. Also wird’s nicht mit dem Heldentum. Egal Helden sterben sowieso bei ihren Taten. Das kann meinem Kleinen ruhig erspart bleiben. Irgendwie tut er mir leid. Mit seinen 6 Jahren, als Frühchen geboren und  immer noch deutlich dünner als andere Kinder in seinem Alter. „Na, komm auf meinen Arm, ich halt Dich etwas warm!“. Das Angebot wird mit ausgestreckten Armen angenommen. Die Beine schlingen sich um meine Hüfte und er legt seinen kleinen Kopf mit den müden Augen auf meine Schulter. Der kaum spürbare Atem überzieht meinen Nacken. Mitten in dieser angespannten Situation ergibt sich ein Vater –Sohn Moment. Wer hätte das gedacht.

Das ohrenbetäubende Bremsen einer S-Bahn reißt mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt nehme ich den Bahnsteig war, der hinter einer Baumreihe versteckt liegt. Ein paar Leute steigen aus und erscheinen bald in einiger Entfernung aus einer Unterführung. Die meisten gehen in Richtung Waldparkplatz, der offenbar auch als Park & Ride Parkplatz dient. Nur ein junges Pärchen mit zwei Reisekoffern nähert sich und bleibt neben uns stehen. Also sind wir doch richtig. „Die wollen sicher auch zum Flughafen“, flüstere ich meinem Schatz ins Ohr. Am Ende der Straße, die bis zu einer Kurve einsehbar ist, erscheint das Leuchten von Scheinwerfern. „Na endlich, das wird er sein“, ich nehme schon den Koffer hoch und lasse ihn im nächsten Moment wieder sinken. Statt des Buses erscheint ein Taxi mit leuchtend gelbem Schild auf dem Dach. Der Taxifahrer hält direkt vor uns und  lässt die Scheibe runter: „Taxi für Müller?“. Einen kurzen Moment bin ich versucht meine Identität zu wechseln. Müller ist schließlich der Mädchenname meiner Mutter, von daher nur ein halber Betrug und die Lösung für unser Transportproblem wäre greifbar. „Müller, das sind wir!“, vernehme ich aber den jungen Mann neben uns, der zusammen mit Hilfe des Taxifahrers gleich darauf die Koffer verstaut und ins Taxi mit seiner Freundin einsteigt.

Als das Taxi in Richtung Flughafen abfährt, platzt es aus Sabine heraus: „Jetzt reicht’s. Lass uns jetzt sofort zum Auto zurückgehen und zum Flughafen fahren. Hier kommt kein Bus mehr“. In meinem Gehirn beginnt mein Zeitplan zu rattern. Wir sind jetzt schon 15 Minuten zu spät, wenn wir jetzt noch am Flughafen einen Parkplatz suchen müssen und vom Parkplatz zum Flughafengebäude laufen, ist locker eine halbe Stunde zusätzlich verloren. Oder anders gesagt: Jetzt wird’s richtig knapp. Egal. „Dann los!“, sage ich. Meinen Sohnemann auf dem Arm einen Koffer hinter mehr herziehend und eine verärgerte Herzdame mit Koffer im Schlepptau, bewegen wir uns schnellen Schrittes über die Straße zurück in Richtung Waldparkplatz. Nach 20 Metern hören wir erst leise und dann immer lauter ein Dieselgeräusch. „Der Bus“, rufe ich  und schaue Schatzi einen Moment lang tief in die Augen. „Schnell!“, ruft sie,  dreht sich um und rennt mit dem Koffer unterm Arm wieder zurück Richtung Haltestelle. Ich kann mit dem Kleinen und dem Koffer nicht so schnell folgen, versuche aber mein bestes. Sabine stolpert und verliert im Laufen einen Schuh. „Lauf weiter“, sporne ich sie wie auf den letzten Metern eines Marathon an und nehme den Schuh auf, während sie mit dem Koffer unterm Arm weiterrennt. Wir sehen, wie der Bus mit Airport-Schild an der Frontscheibe seine Geschwindigkeit zur Haltestelle hin verlangsamt und gleich darauf wieder beschleunigt, da dort niemand wartet. Sabine erreicht die Straße, winkt und ruft aus Leibeskräften. Das Aufleuchten der Bremsleuchten zeigt uns, dass der Busfahrer sie bemerkt hat. Völlig außer Atem erreichen wir beide die Einstiegstür, wo ich Sabine den verlorenen Schuh übergebe. Die Tür öffnet sich mit lautem Zischen. „Na das war aber jetzt knapp. Wenn ich Ihre Frau nicht gehört hätte, wäre ich weitergefahren. Das nächste Mal bitte etwas Puffer einplanen. Nicht wahr?“ Mit 180 Puls und Schweißperlen auf der Haut, setzen wir uns in die zweite Sitzreihe. „Na. Das hat doch gut geklappt!“, sage ich und spüre einen schmerzhaften Ellbogencheck in meiner Seite.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert