Beim Barber

Wir befinden uns in einem Friseursalon in einer abgehalfterten Geschäftsstraße in zweiter Reihe unweit des Hotels „Royal Holiday Palace“. Auf den Friseurspiegeln befindet sich eine kleine Staubschicht. Auf einem der Spiegel steht in der Ecke unten rechts mit dem Finger „Sami“ geschrieben. Gegenüber den Schnittplätzen befinden sich zwei Aquarien,  in die man leicht erhöht auf einem Sofa sitzend, seine Füße reinstrecken kann, um sie von sogenannten Medizinfischen behandeln zu lassen.
Im nachfolgenden Text ist BABA, der Friseurmeister, nur bruchstückhaft des Deutschen mächtig, wohingegen SAMI, sein Sohn aufgrund seiner Mutter, die in Deutschland großgeworden ist, fließend Deutsch kann. Das Gespräch zwischen SAMI und BABA findet ausschließlich auf Türkisch statt. Da ich nicht davon ausgehen kann, dass die Mehrzahl der Leser Türkisch kann, ist es auf Deutsch übersetzt.

 (Hinweis: BABA – Türkisch für Vater, Papa)

BABA:Sami, mein Sohn, wie viele Kunden hatten wir diese Woche?
SAMI:Keinen Baba.
BABA:Wie viele Kunden hatten wir letzte Woche?
SAMI:Keinen Baba.
BABA:Na, dann hat sich die Lage doch nicht verschlechtert. Immer positiv denken, mein Sohn. Merk Dir das.
SAMI:Ja, Baba.
BABA:Da denkt man, dass in unmittelbarer Nähe von 5 Strandhotels sich ein paar Touristen auch zu einem Friseur verirren. Aber nichts. Falsch gedacht. Was müssen die auch im Hotel einen eigenen Friseurladen aufmachen. Noch dazu doppelt so teuer. Das hat mir Dein Onkel Ramsis aus dem Royal Holiday Palace erzählt. Der hat den richtigen Job. Hausmeister. Da ein bisschen reparieren. Dort ein bisschen Trinkgeld. Als Hausmeister verdient man gutes und einfaches Geld. Merk Dir das Sohn.
SAMI:Ja, Baba.  
BABA:Die Sache mit den Medizinfischen, war auch so eine Schnapsidee von Deiner Mutter. Wer streckt schon seine Füße in ein Aquarium, damit ausgehungerte Saugfische daran rumknabbern.
Naja. Sehen wenigsten schön aus. Die zwei Aquarien mit 250 Fischen. Dazu noch das bläuliche Licht. Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht Sohn.
SAMI:Nein, Baba.
BABA:Warum nicht?
SAMI:Es sind Schulferien.
BABA:Seit wann?
SAMI:Seit zwei Wochen.
BABA:Egal. Tu was! Müßiggang ist aller Laster Anfang. Merk Dir das.
SAMI:Ja, Baba.
Darf ich zu Ahmed Computerspielen gehen?
BABA:Nein. Vielleicht kommt noch jemand.
SAMI:Ja, Baba.
BABA:Achtung Sohn.
SAMI:Ja, Baba.
BABA:Da schlendert ein deutscher Tourist mit seinem Kind an unserem Laden vorbei. Mach was! Beweg Dich. Nimm den Besen. Ich glaube, der kommt rein.
SAMI:Woher weißt Du, dass das ein Deutscher ist Baba?
BABAShorts, weiße Tennissocken und Sandalen. Merk Dir das Sohn.
SAMI:Ja Baba.
BABA:Was für ein Glück. Ich glaube, sie kommen wirklich rein.
(DingDong. Die Tür öffnet sich und De Bottler mit seinem Junior tritt ein.)
De Bottler:Hallo, haben Sie geöffnet?
BABA:Was sagt er Sohn?
SAMI:Er fragt, ob wir geöffnet haben.
BABA:Warum fragt er das? Er ist doch gerade hereingekommen? Sag ihm, dass offen ist, und ob er einen Termin gebucht hat?
SAMI:Ja, mein Herr wir haben geöffnet? Was können wir für Sie tun?
De Bottler:Ja nun, mein Sohn und ich bräuchten einen neuen Haarschnitt.
SAMI:Baba, er hat keinen Termin gebucht und fragt, ob er und sein Sohn trotzdem einen Haarschnitt haben können.
BABA(guckt geschäftig in sein Terminbuch, und stöhnt auf Türkisch – soweit man auf Türkisch stöhnen kann) Sag ihm, dass wir das gerade noch hinbekommen.  
De Bottler:Gibt es ein Problem? Sollen wir ein andermal kommen.
SAMI:Nein.  Kein Problem.
BABA:Sohn, wenn er nach dem Preis fragt, musst Du verhandeln. Fang mit 8€ Euro an und lass Dich dann auf 4 € runterhandeln. Merk Dir das.
SAMI:Ja. Papa
De Bottler:Ach, ich wollte noch fragen, was denn so ein Haarschnitt kostet.
SAMI:Für Erwachsene 5€ und für den jungen Mann 4€.
De Bottler:Na Noah, das ist halb so teuer wie im Hotel. Da sollten wir zuschlagen. Was meinst Du?
Noah:Die Mama hat gesagt, wir sollen im Hotel zum Friseur gehen.
De Bottler:Ja, die Mama zahlt ja auch nicht die Rechnung. Also gut. Zweimal Haare schneiden bitte.
SAMI:Sehr gerne
BABA:Was sagt er?
SAMI:Ruhig Papa, wir verhandeln noch über den Preis.
SAMI:Dann zweimal Haareschneiden. Nehmen Sie doch Platz. Wer möchte zuerst. Der Vater oder der Sohn.
De BottlerIch denke wir fangen mit Dir an, Noah. Oder?
NoahJa, Papa.
BABA:Und?
SAMI:Ich konnte 5€ für den Erwachsenen und 4€ für den Sohn aushandeln.
BABA:Sehr gut Sami. Du hast offenbar Geschick im Verhandeln. Ganz der Vater.
SAMI:So, dann nimm doch bitte Platz, Noah. Mein Vater ist gleich bei Dir.
SAMI:Baba, der Junge bekommt zuerst die Haare geschnitten.
BABA:Und wie?
SAMI:Wie sollen die Haare geschnitten werden?
De Bottler:Kürzer. Einfach kürzer.
SAMI:Baba, einfach kurz schneiden.
BABA:Na, das ist leicht verdientes Geld. (geht zu Noah und beginnt, nachdem er ihm die typische Plastikschürze, um den Hals gebunden hat, mit dem Haare schneiden.)
NOAH:Papa, ich will die Haare aber nicht zu kurz haben.
SAMI:Mein Vater macht das schon. Keine Sorge. Noah ist ein schöner Name. (Noah ist etwas beruhigter und blickt in den Spiegel, als würde er gleich zur Schlachtbank geführt werden, als Baba mit Schere und Kamm sein Werk beginnt.)
SAMI:Möchten Sie inzwischen ihren Füßen etwas Gutes tun, mein Herr? Unsere Medizinfischchen sind die besten hier in der Gegend.
De Bottler:Ach, sowas habe ich noch nie gemacht. Ich weiß nicht.
BABA:Frag den Vater, ob er Medizinfische will.
SAMI:Ja, Baba.
SAMI:Sie sollten das wirklich versuchen. Die Fische knabbern nur die überschüssige Hornhaut ab. Ihre Füße sind danach wie neu geboren. Außerdem haben wir diese Woche eine Rabatt-Aktion. Da kosten 10 Minuten nur 5 €.
De Bottler:Nun, ja wir sind schließlich im Urlaub. Da sollte man sich was gönnen. Also dann. Ab mit den Füßen ins Piranha-Becken. (De Bottler begibt sich auf das Sofa hinter den Aquarien und zieht Sandalen inklusive weißer Tennissocken aus. Die Fische im Becken gehen in Anbetracht der sich senkenden Menschenfüße in Deckung, um sich kurz darauf auf sie zu stürzen, als hätten sie schon 2 Wochen nichts zum Knabbern gehabt.)
De Bottler:Boah das kitzelt aber ganz schön. Hoffentlich lassen die Dinger was von meinen Füßen übrig.
SAMI:Keine Sorge wir haben hier um die Ecke eine sehr gute Ambulanz. (Sami lacht, während der Blick vom Bottler sehr dem seines Sohnes zu ähneln beginnt.)
 (10 Minuten später)
BABA:So der junge Mann ist fertig. Sami, schick mir den Erwachsenen rüber. (zieht Noah die Plastikschürze aus und bittet ihn per Handzeichen aufzustehen)
Noah:Papa, das ist jetzt schon ziemlich kurz geworden.
De Bottler:Jetzt siehst du wieder aus wie ein richtiger Mensch.
SAMI:Die 10 Minuten sind um, darf ich Sie nun zum Haareschneiden bitten.
BABA:Wie soll ich schneiden, Sami?
SAMI:Wie möchten Sie die Haare geschnitten haben?
De Bottler:Ungefähr so kurz, wie ihr Friseurmeister.
SAMI:Nun mein Vater hat aber fast eine Glatze. Sind Sie sicher?
De Bottler:Ja bitte.
BABA:Und wie sollen sie geschnitten werden?
SAMI:So wie bei Dir. 2 mm.
BABA:Bist Du sicher, dass Du ihn richtig verstanden hast Sohn?
SAMI:Ja, Baba.
 (5 Minuten später ist das Werk Dank eines elektrischen Rasierers vollendet. Danach erfolgt noch eine Spezialbehandlung mit riesigen brennenden Ohrenstäbchen, um Haare aus Ohren und Nase abzuflammen. Danach begibt sich De Bottler zum Zahlen)
SAMI:So das macht dann 14 €.
De Bottler:(gibt ihm 15 €) Stimmt so. Nun Sohn, wie sehe ich aus?
Noah:Du siehst aus, wie die Gefangen aus dem Film Alcatraz. Ich weiß nicht, ob das der Mama gefällt.
De Bottler:Ach was. Bei den Temperaturen ist so ein Haarschnitt einfach praktisch. Auf Wiedersehen. Ich empfehle Sie weiter. Herzlichen Dank. (De Bottler und Sohn verlassen den Laden)
BABA:Siehst du Sami, das Warten hat sich doch gelohnt. Ich denke, wir können jetzt Feierabend machen. Morgen ist auch noch ein Tag. Merk Dir das.
SAMI:Ja, Baba.

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