Die Schmuckfabrik

Angekommen an unserem zweiten Ausflugsziel, der Schmuckfabrik, werden wir nach dem Aussteigen von unserer netten und nun sehr bestimmenden Reiseleiterin wie eine Herde unwissender Schafe zur Schlachtbank in Richtung eines heruntergekommenen, schäbig wirkenden, dreistöckigen Vorstadtgebäudes geschoben? „Hier soll eine Schmuckfabrik sein?“, spricht Schatzi aus, was sich mir aufdrängt. „Gott sei Dank ist Noah nicht mitgekommen und verbringt den Tag mit Sebastian im Miniclub. Die Schmuckfabrik hätte ihn interessiert. Aber das hier?“

Am Eingang empfängt uns der dunkelhaarige, braungebrannte Ahmed mit blauem Zweireiher, einem dicken, mit Saphir besetzten Goldring und einem aufdringlichen Lächeln, als wollte er sagen: „Kommt herein meine Verkaufsprovisionen“. Ein paar Meter weiter erblicken wir gut geschützt hinter einer Glasscheibe in einem Raum, der meinem Hobbykeller in Größe und Verfassung nahekommt, drei emsig arbeitende Goldschmiede, die im kleinen Hämmern auf irgendetwas herumwerkeln. „Hier sehen Sie nun, wie in echter türkischer Handwerkskunst wundervolle Schmuckstücke in mühevoller Arbeit entstehen. Alles handgemacht bis auf den letzten Schliff!“, erläutert uns Ahmed. Eigentlich sehen wir nur drei Männer, die vielbeschäftigt an irgendwas hämmern und rumschleifen. Mehr lässt der Blick durch die Scheibe nicht zu. Unter Schmuckfabrik habe ich mir etwas anderes vorgestellt. „Und nun darf ich Sie zu den herrlichen Ergebnissen dieser Arbeit in den ersten Stock bitten. „Aha, da kommt also noch was“, raune ich Sabine zu, die wie in Trance Ahmed, dem Rattenfänger, in den 1. Stock folgt.

Oben angekommen erwartet uns ein kleiner Begrüßungscocktail. Ahmed hält unserer Gruppe einen Vortrag über die hervorragende Qualität und garantierte Echtheit des hiesigen Goldschmucks. Er betont die Zertifikate und dass man auf keinen Fall Schmuck auf dem Basar kaufen solle. Er ist dabei so überzeugend, dass man schon ein Vollidiot sein muss, wenn man nicht gleich sein ganzes Vermögen in diese todsichere Kapitalanlage investiert. „Nicht umsonst sind Goldgeschenke in der Türkei seit jeher Tradition und dienen den Frauen als sichere Altersvorsorge.“, schließt er seinen Vortrag und öffnet die Tür zum nächsten Raum und damit das Tor zur Hölle für Geizkragen und dem Himmel für Schmuckliebhaberinnen. Auf einem blauen samtenen Teppich sind ca. 30 Schmuckvitrinen stilvoll platziert. Hinter jeder Vitrine lächelt uns eine zwanzigjährige Schönheit mit rehbraunen Augen und langen schwarzen Haaren entgegen. Deren lange, gepflegte Finger sind rein zufällig von glitzernden Diamantringen geziert. Die Botschaft ist klar. Wer hier Schmuck kauft, wird ebenfalls wunderschön…und arm.

“Zum Glück habe ich nicht so viel Bargeld dabei”, geht es mir durch den Kopf, „Ein schlauer Schachzug!“. Doch, als ob Ahmed meine Gedanken lesen kann, fügt er wie beiläufig hinzu: “Selbstverständlich können Sie bei uns auch mit Kredit- oder EC-Karte zahlen, wenn Sie ein Schmuckstück für sich entdeckt haben. Hinsichtlich Zahlungsmodalitäten ist die Türkei Teil des europäischen Wirtschaftsraums.”

Sabine redet nicht mehr. Ihre Augen glänzen. Sie blickt mich an mit den unausgesprochenen Worten einer Frau. “Hier mein Schatz, kannst Du mir endlich zeigen, wie sehr Du mich liebst”. Ich war noch nie ein Freund dieser materialistischen Definition von Liebe. Ist es ein Liebesbeweis, wenn ich versuche, meine Frau mit Schmuck zu überhäufen. Nein. Ein liebes Wort, eine zärtliche Geste erscheint mir da wesentlich angebrachter…und billiger. Leider teilt Sabine diese Haltung nicht, und ich sehe, wie sie einen strahlenden mit Brillianten in Weißgold gefassten Ring von Ahmed an den Finger gesteckt bekommt. Tränen sammeln sich in Ihren Augen, als sie den Ring an ihrer Hand bewundert. Gleiches passiert mit meinen Augen, als mir Ahmed den Preis nennt. “Aber guter Freund”, lächelt er mit einer Unschuld, als würde mir das Christkind gerade das ‘Du’ anbieten, “ist Dir Deine schöne Frau das nicht wert?” Wobei er diesen Satz so laut ausspricht, dass Sabine ihn hört und ich weiß, dass in den nächsten Minuten unser gemeinsamer Lebensweg ein abruptes Ende finden wird. Gleichzeitig setzt in mir ein urzeitlicher Überlebenstrieb ein. Ein Tier, das in die Enge getrieben wird. Vor sich der sicherer finanzielle Bankrott. Neben sich ein schmachtendes Weib, das sich im Diamantrausch befindet und hinter sich die Schlange Ahmed, die mir ins Ohr flüstert, dass auch VISA, American Express und Master-Card akzeptiert werden. Adrenalin sucht sich seinen Weg in meine Blutbahnen. Mein Herz beginnt zu pochen und mein Gesicht füllt sich mit einer Röte, die vom Sonnenbrand meiner Glatze nicht mehr zu unterscheiden ist. „Schatz, geht’s Dir nicht gut? Der Ring sieht wirklich toll aus, nicht wahr?“, sagt sie immer noch schmachtend auf ihre Hand blickend. In meinem Gehirn beginnt es unter Adrenalinschock zu rattern. Hier ist sie jetzt die Entscheidung:  Beziehung oder Geiz. Einsam oder arm. Geld oder Liebe. Und dann, in dieser schier ausweglosen Situation, geschieht das Unfassbare.

“Schatz, mir gefällt dieser Ring wirklich sehr gut, aber ich weiß, dass wir uns den im Moment nicht leisten können. Es war ein schöner, verführerischer Gedanke, aber ich denke wir sollten jetzt gehen”, sagt es, gibt Ahmed den Ring und geht Richtung Ausgang. Ahmed versucht seine Provision noch zu retten, indem er den Preis noch zweimal um 30 % senkt, aber wir haben genug. Sabine und ich streifen noch ein paar Minuten neugierig, aber sicher nichts kaufend, an den Glasvitrinen vorbei Richtung Ausgang. Einmal können wir einen Blick in einen Nebenraum erhaschen, in dem ein junges Paar sitzt. Er ist so um die 20 und sie vielleicht 18. Ihre Augen leuchten beim Anblick der Smaragd-Kette aus Gold um ihren Hals. Bei ihm leuchtet der Kopf in purpur, während der Zwillingsbruder von Ahmed ihm ins Ohr flüstert.

Lächelnd blicke ich Sabine an und danke ihr im Geiste dafür, dass Sie so ist, wie sie ist. Als wir an der Glasscheibe mit den Goldschmieden wieder vorbeikommen, ist von denen nichts mehr zu sehen. Offensichtlich scheint schon die gesamte Arbeit getan zu sein, die aus 5 Minuten Präsentation für angekommene Bustouristen besteht. Bevor sich die anderen aus unserer Gruppe den verkäuferischen Fängen Ahmeds und seiner Kollegen entreißen können, vergehen noch zwei Stunden. Zwei Stunden, in denen Sabine und ich während eines Spaziergangs die Hinterhöfe von Antalya besichtigen und zwei original türkische Orangen mit Zertifikat erwerben, deren Qualität und Geschmack uns noch im Moment des Verzehrs voll und ganz überzeugt.

3 Kommentare

  1. Ein Besuch in der Schmuckfabrik – der Klassiker. Was hierzulande die Heizdecken auf der Kaffeefahrt sind … (:
    Die freundliche Zurückweisung ist ausgesprochen vorbildlich!

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