Ausflug

Was ist so ein Erholungsurlaub denn wert, wenn man nicht auch Land und Leute kennenlernt. Und da ich und meine Frau Sabine nicht zu diesen, ich will nur entspannen Touristen zählen, interessieren wir uns selbstverständlich für die vom türkischen Reisebegleiter, Hümet Ürgül, angepriesenen Sehenswürdigkeiten und Ausflugsangebote. Anpreisen ist bei weitem untertrieben, Hümet, wie wir ihn nennen dürfen, malt uns das Paradies auf Erden aus. Beschreibt mit malerischer Hingabe die (ehemals) weißen Felsen Pamukales und die riesigen Steuervorteile beim Kauf von Gold-Schmuck, wie er nur in der Türkei hergestellt wird. Gier ist bekanntlich stärker als Natur, weshalb wir uns für eine Rundfahrt nach Antalya mit Besuch einer türkischen Goldschmiede-Fabrik und Gelegenheit zum Kauf von „seeeehhhrrr“ günstigem Schmuck und anschließendem Besuchs eine original türkischen Basars begeistern lassen.

Zwei Tage später geht es in den frühen Morgenstunden los. Der Bus, in den wir einsteigen, erscheint wenig vertrauenserweckend- der zugehörige Fahre noch weniger. Offensichtlich sind wir auch die Letzten, die zugestiegen sind. Von den 50 Sitzplätzen ist nur noch einer frei. “Ist kein Platz mehr frei, musst Du sitzen zusammen mit Frau auf einem Platz. So ist Romantik in Türkei “, gibt mir der bei weitem nicht so charmante, aber dennoch mit seinem Goldzahn lächelnde Fahrer Sinan Kusum, kurz Sina, zu verstehen. Meine Proteste werden durch einen vorwurfsvollen Blick von Sabine im Keim erstickt, im Sinne ” jetzt stell dich halt nicht so an, es sind ja nur 60 km bis Antalya”. Also drängeln wir uns durch den bereits von Schweißgeruch durchzogenen Mittelgang bis zum letzten freien Platz gegenüber des Toilettenabgangs. Gentlemen, der ich nicht bin, aber angesichts meiner Rolle als Mann sein muss, darf sich Sabine auf den Sitz niederlassen, während ich die äußerst bequemen Treppenstufen zum Toilettenabgang nutzen darf. Romantik und tolle Aussicht mit WC-Schild inklusive. Meine Gedanken werden von einer weiblichen in klarem deutsch aber durch Buslautsprecher verzerrten Stimme unterbrochen.

„Liebe Gäste, nachdem wir nun die letzten Teilnehmer unserer Reise vom Royal Holiday Palace aufgenommen haben, fahren wir auf direktem Weg nach Antalya. Mein Name ist Ayse Alev, was so viel wie „lebendige Flamme“ bedeutet, und ich bin Ihre Reiseführerin auf diesem wunderschönen Ausflug.“ „Naja, ob der so schön wird, werden wir noch sehen“, brumme ich vor mich hin. „Ja bitte, da hinten ist schon eine Frage?“ „Nein. Keine Frage“, antworte ich ertappt, während die lebendige Flamme weiter fortfährt.  „Die leicht erhöhte Temperatur im Bus ist nicht auf meinen Namen zurückzuführen“, erzwungene Pause, die ein ebenso erzwungenes Gelächter unter den Reisenden hervorruft, „sondern auf die leider ausgefallene Klimaanlage. Ich bitte dies zu entschuldigen. Genießen Sie einfach die 35 Grad, dafür sind doch aus dem kalten Deutschland herkommen. Nicht wahr?“. „Ja“, brumme ich, „und um dabei am Pool zu liegen und einen Caipirinha zu schlürfen oder ein Mokka-Eis zu essen. Ach nein. Kein Mokka“. „Noch eine Frage?“, höre ich die leicht irritierte Stimme durch den Lautsprecher. „Nein. Keine Frage!“. „Gut. Nach einem kurzen Zwischenstopp an den Wasserfällen von Antalya besuchen wir eine wundervolle Schmuckfabrik, in der Sie echte türkische Goldschmiede, bei ihrer filigranen und kunstfertigen Arbeit beobachten dürfen. Anschließend haben Sie freie Zeit zur Verfügung, um den berühmten Basar im Herzen Antalyas zu erkunden. Falls Sie irgendwelche Fragen haben, scheuen Sie sich nicht mich anzusprechen. Ich melde mich wieder, wenn wir in Antalya angenommen sind und wünsche Ihnen solange eine angenehme Reise“. Das Klatschen im Bus aufgrund dieser Ansprache fällt verhalten aus. Beim Blick unter die schweißgetränkten T-Shirts, die direkt auf meiner Blickhöhe Richtung Mittelgang zu sehen sind, weiß ich auch warum.

„Jetzt schau nicht so bedeppert“, raunt mich meine Liebste von hinten an. “Das wird bestimmt lustig!“. „Ja, lustig und warm. Scheiß Hitze, scheiß Türkei“, flüstere ich und sinniere darüber nach, was uns noch alles so erwarten wird, auf diesem Hitzetrip. Plötzlich ist ein ohrenbetäubender Knall zu hören. Der Bus gerät ins Schlingern. Die Bremsen quietschen. Schreie ertönen. Sina, unser Fahrer bringt mit seiner Fahrkunst, die ich ihm nicht zugetraut hätte, den Bus unter Kontrolle und zum Stehen. Eine Tür wird aufgerissen und eine fünfköpfige türkische Spezialeinheit mit Schutzwesten und schweren Waffen stürmt den Bus. „Wo ist der Deutsche, der hat Türkei auf schändliche Weise beleidigt?“ schreit einer der Männer. „Wer war’s?“. Schweigen. „Ich gebe noch ein Gelegenheit, bevor ich erschiesse ersten Tourist, wenn nicht sagen!“ Angesichts dieser Drohung richten sich die Blicke aller Fahrgäste auf mich. Auch Sabine verrät mich. Meine Liebste, der ich jeden Wunsch von den Augen ablese, stellt ihr eigenes Leben über meines und lässt mich im Moment größter Not im Stich. Der Wortführer kommt auf mich zu, packt mich an den Schultern und rüttelt mich. Rüttelt mich. Rüttelt mich.

„Wir sind da. Wir sind da. Wach endlich auf!“  „Was, wie?“, antworte ich, während meine Augenlider langsam die Sonne Antalyas in mein Bewusstsein lassen. „Wir sind bei den Wasserfällen!“ Aus den Lautsprechern ertönt Ayses Stimme: „Liebe Gäste, wir haben unser erstes Ziel erreicht. Leider kann der Bus nicht bis zu den Wasserfällen hinfahren. Daher bitte ich Sie, nun auszusteigen und die kurze Strecke bis zu den Wasserfällen zu Fuß zurückzulegen. Wir treffen uns in 15 Minuten wieder hier im Bus!“ Noch immer schlaftrunken, versuche ich auf meinem Toilettenaussichtsplatz zu mir zu kommen, als schon die ersten Beschwerden zu hören sind.  „Nun stehen Sie schon auf. Wir wollen raus!“, meint ein Mitsiebziger voller Ausflugsdrang mit Spazierstock und Krempelhut bewaffnet. „Schon gut, die Wasserfälle werden schon nicht in den nächsten 5 Minuten versiegen.“ „Ja, aber wir müssen noch ein Stück zu Fuß hinlaufen, und haben nur 15 Minuten“, raunt er und schafft Tatsachen, indem er mit großem Schritt und Bergziegen ähnlich über mich hinweg zur Bustür heruntersteigt, die sich im selben Moment mit einem Quietschen nach außen öffnet. Als seine Frau ihm über mich hinweg folgen will, möchte ich mir den Blick unter Ihren Rock ersparen und erhebe mich schnellstmöglich. „Na, das wurde ja auch Zeit“, kläfft Sie mich an und folgt ihrem höflichen Gatten, mit abwertendem Blick in meine Richtung. Gerade so als hätte ich eben eine Katze überfahren oder meine Steuern nicht bezahlt. „Schatz, wir müssen uns wirklich etwas beeilen. Der Weg dorthin scheint weiter zu sein“, zeigt meine Liebste mit Ihrem Finger in Richtung, wohin sich Herr und Frau Rücksichtslos mit schnellem Schritt bewegen“. „Ich dachte, wir sind im Urlaub und nicht beim 400 Meter Rennen“, antworte ich verärgert über die Hektik, die sich im Bus breit macht. Beim Rausgehen kann ich kaum die Augen offenhalten. So sehr sticht der Planet vom Himmel. „Liebes, hast Du meine Sonnenbrille dabei?“, schaue ich halbblind in die Richtung, wo ich Madame vermute. „Wenn ich nicht immer für Dich mitdenken würde“, überreicht Sie mir die Brille, und ich kann wieder einigermaßen die Umgebung wahrnehmen. „Beeil Dich jetzt bitte. Die anderen sind schon vorweg“, und beschleunigt ihren Schritt Richtung vorauseilender Herde. Ich hab’s gewusst. Es war ein Fehler, den sicheren Liegestuhl am Pool zu verlassen und sich in eine unberechenbare Menschenmasse auf Souvenir-Jagd zu begeben. Aber was soll’s, jetzt muss ich durch.

Der Weg zu den Fällen ist steinig, holprig und schattenlos. Um 11.00 Uhr morgens bei 35 Grad nicht die besten Voraussetzungen, um mit einer Halbglatze spazieren zu gehen. Die UV-Strahlung brennt sich gnadenlos bis zu meiner Schädeldecke durch, während Schatzi sich ihren Strohhut zurechtrückt. „Hast Du keine Mütze mitgenommen?“, blickt sie nach hinten und sieht mich mit meiner leicht rosa leuchtende Schädeldecke hinter ihr herdackeln. „Nein, hab ich vergessen!“, antworte ich und halte dabei demonstrativ schützend meine Hand über den Kopf. „Also echt jetzt mein Lieber. An alles kann ich auch nicht denken!“. „Musst Du auch nicht. Ich bin schließlich erwachsen und du nicht meine Mutter“. „Manchmal  kommt mir’s aber so vor?“, gibt sie zurück.  Jede Ursache hat ihre Wirkung. Verhalte ich mich wie ein Kind, so dass Sie sich wie meine Mutter verhalten muss. Oder werde ich zum Kind, weil sie sich wie meine Mutter verhält. Offensichtlich zu viel Sonne für mein Hirn oder wie lässt sich solch philosophischer Gedankenwuchs erklären? „Hier nimm meinen Strohhut. Ich habe ja noch genug Haare“ reicht sie mir ihn. “Sieht zwar dämlich aus, aber besser, als morgen mit Brandsalbe auf dem Kopf am Pool zu liegen.”

Nach 300 m Wanderung lässt uns das stärker werdende Rauschen und die zunehmende Luftfeuchtigkeit das nahende Naturschauspiel erahnen. Und tatsächlich stürzt sich nach weiteren 50 Metern der Düden Fluß eine 40 m hohe Klippe ins Meer hinunter.  „Na was sagst Du?“, meint meine Liebe sichtlich beeindruckt. “Ja, schön. Und? “. „Dir ist nicht mehr zu helfen“, resigniert sie. Wäre jetzt saublöd, wenn ich Begeisterung zeigen würde, wo ich doch zuvor genug gemosert habe. Aber ganz ehrlich. Unter uns. Ich bin beeindruckt. Für diesen Anblick hat sich das Sitzen auf den Busstufen tatsächlich gelohnt. Aber muss ich das deshalb zugeben? Nee, nee, da bleibe ich lieber in meiner Opferrolle. „Also gut, lass uns zurück zum Bus“, dränge ich.“ 10 Minuten sind schon rum und zurück brauchen wir auch 5“. „Mach noch schnell ein Bild, Schatz!“, fordert sie mich vor dem Wasserfall posierend auf. „Wie ein Bild? Ich hab keinen Foto dabei!“. „Wenn man sich einmal auf Dich verlässt.“.  „Sorry, aber Du hast nicht gesagt, dass ich den Fotoapparat mitnehmen soll?“, versuche ich mich zu rechtfertigen. „Und wozu hast du dann, vor dem Urlaub Stunden und Tage damit verbracht, eine entsprechende Kamera im Internet zu suchen und zu bestellen. Damit sie jetzt im Hotelzimmer rumliegt?“. Schatzi wirkt verärgert und gereizt. Irgendwie hat sie Recht. Zu dämlich von mir. Aber egal. „Los komm jetzt, wir müssen zurück!“.  Der Rückweg ist schweigend. Auch nicht schlecht. Endlich mal etwas Ruhe.

Im Bus angekommen nehme ich wieder meinen Lieblingsplatz mit Toilettentürblick ein. Schatzis Laune ist dahin und bessert sich erst, als nach 20 Minuten weiterer Busfahrt durch die verstopften Straßen Antalyas die Stimme von Ayse ertönt. „Liebe Gäste wir erreichen in Kürze, wie versprochen, eine original türkische Schmuckfabrik, in der Sie lebendige, türkische Goldschmiede bei Ihrer Arbeit beobachten können. „Tote wären spannender!“, rutscht es mir raus, was von Ayse gekonnt ignoriert wird.  „Des Weiteren haben Sie die einmalige Chance, wertvolle und äußerst günstige Schmuckstücke direkt ab Werk zu kaufen. Hierfür haben Sie jetzt zwei Stunden Zeit.“

„Zwei Stunden in einem Schmuckladen. Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

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