Reservieren bitte

Beim Öffnen der Augen nach unserer zweiten Nacht im Hotel schaue ich schlaftrunken auf einen goldenen dickbäuchigen Buddha, der mir sagen will „Bleib liegen mein Sohn. Werde eins mit der Natur. Atme tief ein und aus und genieße den Zustand zwischen Schlaf und Wachsein. Ein Tag voller Erholung und Zufriedenheit wartet auf Dich“. „Du musst ein paar Liegen reservieren. Beeil Dich es ist schon 7.30 Uhr!“ Moment, das war jetzt nicht ein lächelnder Buddha, sondern der Trommler auf der Galeere, der vor meinem Bett steht und an meinen Beinen zuppelt. „Lass mich!“, lautet mein kläglicher Versuch der Abwehr, „die haben doch 500 Liegen am Pool. Ich werde doch nicht den Stereotyp eines deutschen Touristen entsprechen und jetzt vor dem Frühstück Liegen mit einem Handtuch reservieren. Keine Chance!“. So das wäre geschafft. Noch einmal rumdrehen und in Meditation mit dem dickbäuchigen Buddha verfallen. “Schau vom Balkon runter! Fast schon alles belegt“. „Also gut, nehmen wir die Ruder in die Hand und schauen vom Balkon runter. Bye, bye lächelnder Buddha. Ciao entspannter Urlaubsmorgen.“ Beim Blick vom Balkon sehe ich, wie sich unten zwei untersetzte –vermutlich deutsche – Hotelgäste darüber aufregen, dass Ihre Liegen, die Sie seit sieben Tagen belegt haben, nicht mehr frei ist. Scheint also notwendig zu sein zu reservieren. „Na gut. Überzeugt. Ab in den Krieg. Gib mir bitte die Waffen?“. “Welche Waffen?“, entgegnet meine Liebste. „Die Badetücher!“.

Mich nervt das. Stress am Morgen. Nur wegen der scheiß Liegen am Pool. Soll das Urlaub sein? Aber gut, wozu hat man einen Feldwebel dabei, der die Richtung vorgibt. Befehl ist Befehl, da kann einen Meister Buddha noch so angrinsen. Ich ziehe mir also meine Jogginghose an und ein T-Shirt, lege mir Badetücher über die Schulter und bewege mich Richtung Hotelzimmertür. „Du willst doch nicht so rausgehen?“, erfolgt sogleich der Rückpfiff. „Wie? So?“ zucke ich mit den Achseln. „Na so!“. Ich drehe mich im Kreis, blicke hinter mich, vor mich und in meinen Schritt. Alles dort, wo es sein soll. Meine fragenden Blicke werden mit einem Fingerzeig auf mein T-Shirt beantwortet. Ich muss feststellen, dass ich dieses im schlaftrunkenen Zustand vorder – rückwärts angezogen haben. Um weitere Diskussionen zu vermeiden, erfolgt der T-Shirt Dreher. „So. Passt das jetzt?“ „Wenn Du mich nicht hättest!“ ist nur die Feststellung meiner Liebsten, die ich im Geiste weiterspinne „dann würde ich jetzt im Bett schlummern und müsste nicht um 7.30 Uhr Liegen am Pool reservieren.“ Was hilft’s? Tür auf und in den Hotelflur getreten. Der quadratisch angeordnete Flur umsäumt einen großen lichtdurchfluteten Innenhof, der sich durch die 6 Stockwerke bis ins Erdgeschoss zieht. Noch versunken in die architektonisch gelungene Leistung, auf diese Weise 50 Zimmer auf einer Etage unterzubringen, werde ich von 50 Zimmertüren, die ins Schloss fallen wachgerüttelt. Ich sehe meine Kombattanten, bis unter die Zähne mit Strandtüchern und Badetaschen bewaffnet in den Flur treten. Manch einer scheint erfahren zu sein, und hat neben den Hotel-Handtüchern auch eigene, leicht zu identifizierende Handtücher um den Hals geschlungen. 100 Augenpaare treffen sich, belauern sich, warten auf die Reaktion der anderen. Auf der anderen Seite des Lichthofs öffnet sich die Aufzugtür. In einem Bruchteil einer Sekunde beginnt das Rennen. Eindeutiger Nachteil für mich. Mein Weg ist der weiteste. Hätte ich doch nur nicht das T-Shirt nochmal umgezogen. Jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken. Keiner der Männer rennt tatsächlich, um sich nicht die Blöße zu geben und den Titel des hektischsten Liegenreservierers am ersten Urlaubstag zu verdienen. Fragt sich nur wann schnell gehen aufhört und rennen anfängt. Als ich mit leicht erhöhtem Herzschlag die sich vor mir schließende Tür des Aufzugs erreiche, sehe ich noch ein breites Grinsen, der sich darin quetschenden 25 Badetuchträger. Tür zu. Da stehe ich ratlos, verzweifelt, den Vorwurf von der Liebsten erwartend, nicht schnell genug Liegen ergattert zu haben. Moment mal ich stehe noch. Und was machen die anderen 25 Männer ohne Aufzug? Die laufen. Sie haben Ihren schnellen Gang in Richtung Treppe beschleunigt. Mir fallen sämtliche Krimis, „Wetten dass“- Shows und Bücher ein, in denen ein Mensch schneller als der Aufzug die Treppen herunter oder heraufrennt. Meine Chance. Ich kriege euch Fahrstuhl-Besetzer. Meine Liegen bekommt ihr nicht. In einem Pulk von 10 bis 15 Männern wende ich mich nun auch schnellen Schrittes dem Treppenabgang zu. Wir sind alle mit dem gleichen Geheimauftrag unterwegs: Liegen am Pool reservieren. Am Treppenabgang kommt es zum kurzen Gerangel. Die Treppe ist zwar in der Breite für Notevakuierungen ausgelegt ist, aber sträflicher weise hat wohl niemand an die Massen von liegenreservierenden Deutschen gedacht. Durch einen kurzen Ausruf „Achtung“ gelingt es mir, ein kurzes Zögern bei meinen Gegnern zu erreichen. Lang genug, um mich ich so an die Spitzenposition zu setzen. Die Schimpftirade „Was soll denn das. Noch alle Tassen im Schrank?“ nehme ich gelassen hin. Der Zweck heiligt schließlich die Mittel. Ich kann aufgrund der freien Treppe jetzt 2-3 Stufen auf einmal nehmen. Auf der nächsten Etage angelangt sehe ich noch wie die Fahrstuhltür sich wieder schließt. Eindeutig mein Vorteil. Offensichtlich steht in jeder Etage mindestens ein genervter Hotelgast, der mit dem Fahrstuhl nach unten fahren will.

Auf der dritten Etage ist mein Vorsprung angewachsen, so dass ich langsam mein Tempo verringern kann. Auch weil mich eine junge Mutter verständnislos anschaut, als ich ihren dreijährigen Sohn beim Treppenabsatz mal kurz zur Seite schubse. Gut der Kleine erschrickt und heult, aber mein Gott, alt genug ist er, um die Härte des Männerdaseins kennenzulernen. Der Liegenkrieg kennt keine Gnade.

Geschafft. Ich komme im Untergeschoss an, wo der Ausgang zum Poolbereich liegt. Das konnte ich schon bei der Ankunft wohlweislich herausfinden. Noch 20 Meter und eine Drehtür trennen mich vom Erreichen der Poollandschaft und den dort angeordneten 500 Liegen, wovon drei darauf warten, von meinen Handtüchern belegt zu werden. Der Fahrstuhl ist immer noch nicht im Untergeschoss angekommen und meine Treppenverfolger erhalten gerade vom Hoteldirektor eine Standpauke, doch bitte normalen Schrittes die Treppe herunterzugehen, um nicht andere Gäste zu gefährden. Recht so. Furchtbar diese Rüpel, die mehrere Stufen auf einmal nehmen. Entspannt und liegengewiss bewege ich mich Richtung Drehtür, die ich verwende, um in den Außenbereich zu gelangen. In dem Moment als ich mittendrin stecke, dreht sie sich nicht weiter. Hand vom Griff loslassen und kurz warten. Ist vielleicht eine Automatik. Nein, geht nicht. Drücken hilft auch nicht. Ok, dann halt wieder rückwärts und die Seitentür neben der Drehtür verwenden. Mmh, wenn sich die Drehtür rückwärts drehen ließe, wäre das eine Möglichkeit. Tut sie aber nicht. Diese bescheuerte Drehtür bewegt sich keinen Zentimeter mehr vor oder zurück, und ich stecke fest im Nirvana zwischen Hotelwelt und Poolbereich. „Hallo, kann mir jemand helfen?“ Meine Stimme klingt stumpf durch das Glas der Türscheiben nach außen. Als Antwort erhalte ich ein überlegenes und gehässiges Grinsen von meinen handtuchreservierenden Verfolgern, die nun ihrerseits siegesbewusst, die Seitentür neben der Drehtür öffnen und mit den Handtüchern winkend an mir vorbei Richtung Pool ziehen.

Nach 15 Minuten und 100 weiteren Handtuchträgern erscheint der Hotelmanager mit einem Techniker an meinem nun schon gemütlich eingerichteten Einquadratmeter Drehzimmer. In perfektem Deutsch ruft er durch die Glastür: „Haben Sie das Schild nicht gesehen?“ „Welches Schild?“, gebe ich per Zeichensprache zu verstehen. „Die Tür ist aufgrund eines technischen Defektes außer Betrieb.“ Das Schild, auf das er deutet, ist für mich von innen nur von der Rückseite zu sehen, da es außen an der Tür hängt. Freundlicherweise dreht der Manager es für mich um, so dass ich es lesen und nur mit den Schultern zucken kann. Der Techniker packt seine Handwerkertasche aus und hat nach 5 Minuten mit einem Schraubenzieher den Klappmechanismus der Flügeltür gelöst, so dass ich befreit in die Hotelhalle zurückschreiten kann. „Bitte beachten Sie zukünftig die Hinweisschilder, wir wollen nicht, dass Sie zu Schaden kommen. Im Übrigen, da ich Sie gerade mit den Handtüchern auf dem Arm sehe, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass unser Personal angewiesen ist, Handtücher von herrenlosen Liegen zu beseitigen. Sie können versichert sein, dass unser Hotel mit seinen 2000 Liegen ausreichend Möglichkeit bietet, um zu entspannen!“, sagt’s und lässt mich mit meinen Handtüchern auf dem Arm zurück bei einem mitleidig dreinschauenden Handwerker. „Deine Frau wolle dass reserviere Liegen, oder?“ Ich nicke. „Ich immer sage, wenn Frau glücklich, dann Mann unglücklich. Aber man kann net ohne und net mit. So ist Leben. Aber am allerwichtigsten ist Tradition in Türkei!“, worauf er mir mit seinem zahnlückenübersäten Lächeln die nach oben geöffnete Hand hinstreckt. Dummerweise habe ich auch meinen Geldbeutel dabei. Einen kurzen Moment ringt noch mein Geiz mit meinem schlechten Gewissen, das dann aber gewinnt und mir zwei Euro für die Befreiungsaktion aus meinem Geldbeutel entlockt. „Ah, Du kenne türkische Tradition! Sehr gudd. Danke schön, und wenn Du hast Probleme mit Tür oder Frau einfach an Rezeption Ramsis rufe. Komme sofort!“, verabschiedet er sich mit einer leichten Verbeugung und trottet seinem nächsten Auftrag entgegen. Und ich? Ich komme mir vor wie ein Vollidiot. Die Sache mit  dem Reservieren schlage ich mir aus dem Kopf, da ich durch die Glasfront zum Pool beobachten kann, wie tatsächlich das Poolpersonal herrenlose Badetücher von den Liegen einsammelt und auf einem zentralen Haufen stapelt. „Na, dann hat sich das wenigstens für die nächsten Tage erledigt“, denke ich und trete meinen Gang nach Canossa bzw. zurück zum Hotelzimmer an, mit der Gewissheit, dass ich dort freudig und mit vollem Verständnis empfangen werde.

„Wo warst Du solange? Wir verpassen noch das Frühstück. Wenn man dort zu spät hinkommt, sind die meisten Sachen schon ausgesucht. Und warum hast Du die Handtücher wieder mitgebracht?“. „Darum!“, sage ich und bewege mich Richtung Bad, um für kurze Zeit meine Ruhe zu haben. „Da hat einer mal wieder ganz schlechte Laune. Was?“, höre ich von hinten, als ich Tür zum Bad öffne. Auf der Toilette mit dem Tablet spielend lächelt mich mein Junior an. „Besetzt“, meint er nur kurz. „Raus!“, entgegne ich mit scharfem Ton und genieße kurze Zeit später fünf Minuten meditative Privatsphäre ohne Buddha und Feldwebel.

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